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September 2021 im Sauerland

“Ihr stellt alles infrage …”

Leserbrief Hartmut Gliemann, WA 01.12.2022
Leserbrief Hartmut Gliemann, WA 01.12.2022

Hartmut Gliemann hat beim Westfälischen Anzeiger einen satirisch formulierten Leserbrief eingereicht, der dort am 01.12.2022 gekürzt gedruckt wurde . Ich veröffentliche hier den vollständigen Text. Rote Schrift zeigt Auslassungen durch den WA:


Liebe Klimaaktivisten, jetzt reichts, wenn ihr auch noch die Flüge in die Karibik behindern wollt. Wofür haben wir denn geschuftet und gespart? Ihr stellt alles infrage, was wir uns so an Konsum angewöhnt haben: Die Kiwis aus Australien, die Steaks aus Argentinien, den Spargel im November oder die Erdbeeren im Januar, jährlich das neueste Smartphone oder die Autos mit 300PS (für die der WA dankenswerterweise immer wieder Reklame macht). Das sind doch tolle Errungenschaften, aber ihr verweist immer nur auf erhöhten Energieverbrauch und versaut uns den Genuss. (ihr seid wohl noch nie mit 200km/h über die Autobahn gefahren und habt den Rausch der Geschwindigkeit genossen?)

Auch wenn wir seit 60 Jahren über den Zusammenhang vom Verbrennen fossiler Rohstoffe und Klima Bescheid wissen, haben wir genug vernünftige Politiker, die nicht in Hektik verfallen, sondern erst einmal drauf achten, dass die Wirtschaft wächst. Und überhaupt: Was gehen uns die Dürre in Afrika oder die Überschwemmungen in Pakistan an?

Dass jetzt ein Berliner Gericht sich geweigert hat, überhaupt ein Verfahren gegen euch zu eröffnen ist bedauerlich, vor allem mit deren Begründung die Klimakrise sei eine „objektiv dringliche Lage” – wir leben doch immer noch. Bei einer Bewertung des Protestes sei das nur “mäßige politische Fortschreiten” der Klimamaßnahmen zu berücksichtigen.

Karikatur von Gerhard Mester / SFV
Gerhard Mester / SFV
Den Gedanken des Bundesverfassungsgerichts, dass sich auf die Straße zu setzen und den Verkehr zu blockieren, noch keine Gewalt sei und von der Versammlungsfreiheit gedeckt, kann man nur als fatalen Irrtum bezeichnen.

Da sind nun die Bayern doch schon weiter und haben mit der Unterbindungshaft mal eben 12 Aktivisten für 30 Tage in den Knast gesteckt – ohne Anwalt und Verfahren. Das erinnert zwar ein bisschen an die Schufthaft* von damals, aber bringt euch vielleicht zum Nachdenken.

Wir leben jetzt und sollen darüber nachdenken, was mit der Erde in 50 Jahren sein könnte – ganz ehrlich, wo kommen wir da hin? Macht doch bitte euren Protest etwas leiser und unauffälliger, damit wir besser schlafen können.

Hartmut Gliemann
[E-Mail]


*Anmerkung der Redaktion: Unter dem euphemistischen Begriff Schutzhaft wurden in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland Regimegegner und andere missliebige Personen allein aufgrund einer polizeilichen Anordnung inhaftiert, ohne dass dies einer richterlichen Kontrolle unterlag, etwa auf dem Wege der Haftprüfung. (Wikipedia)

Beitragsbild: September 2021 im Sauerland | Foto: Uli Mandel

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