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Rathaus Hamm

Ein Jahr Ampelkoalition in Hamm – eine Zwischenbilanz zur (Rad)verkehrspolitik

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Nachdem in den 90er Jahren unter Stadtdirektor Dieter Krämer die Fahrradpromenade und ein ausgeschildertes Radwegenetz in die Stadtbezirke entstanden sind, wurde unter dem OB Hunsteger-Petermann Radverkehr fast ausschließlich unter touristischen Aspekten betrachtet. Die innerstädtische Radinfrastruktur blieb weitgehend unberücksichtigt.

Im Dezember 2019 hat dann der Rat der Stadt Hamm mit den Stimmen von CDU und SPD beschlossen, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu werden. 2020 wurde überraschend Marc Herter von der SPD zum Oberbürgermeister gewählt und eine Ampelkoalition hat einen vielversprechenden Koalitionsvertrag vereinbart. Dort wird die “deutliche Stärkung des Radverkehrs und die Planung eines flächendeckenden Fahrradnetzes und die Neuaufteilung des Verkehrsraums zugunsten des Fuß-, Rad- und Busverkehres” versprochen.

Wir wollen, dass Radfahren in Hamm die bessere Alternative für den Weg zur Arbeit, für den Schulweg und in der Freizeit ist. Dafür müssen wir in Hamm deutlich besser werden, was den Zustand der Radwege, die Erreichbarkeit der Stadtbezirke und die Sicherheit angeht. Unser mittelfristiges Ziel ist ein kreuzungsfreier Radweg in die Innenstadt – aus jedem Bezirk aus.” heißt es im Koalitionsvertrag.

Weiter heißt es: “Wir werden geschützte Fahrradstreifen (Protected Bike Lanes) an Hauptverkehrsachsen einrichten und mit mehr farblicher Markierung, gut ausgebauten und beleuchteten Fahrradwegen, mehr Fahrradstraßen, mehr Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Lastenräder, Fahrradparkhäuser, der Nutzung von digitalen Ampelsystemen zum Vorrang (grüne Welle) für den Fahrradverkehr und weiteren Maßnahmen das Fahrradfahren in unserer Stadt deutlich angenehmer, schneller und sicherer machen. Mit einem durchgängigen Radwegesanierungsprogramm halten wir bestehende Wege instand.

Die Stadt hat sich auf den Weg gemacht

Seit der Kommunalwahl ist bezüglich der Radinfrastruktur einiges geschehen, es lässt sich ein wirklicher Neuanfang feststellen. Viele neue Radständer wurden montiert, die Fahrradpromenade durch Markierungen aufgewertet, einige Straßenfurten zur Verbesserung der Sicherheit für Radfahrende rot markiert, die Adenauerallee, der Radweg an der Kamener Straße und zur Kornmersch neu asphaltiert und die Stadt hat mit der Beseitigung oder dem Umbau von Umlaufsperren begonnen.

Zusätzlich hat die Stadtverwaltung mit der Überplanung der Radrouten in die Stadtbezirke angefangen. Nach der Fahrradpromenade werden nun die Routen nach Werries und Uentrop und als nächstes nach Ostwennemar überarbeitet. Im kommenden Haushalt wurde ein deutlich erhöhtes Budget von 2 Mio. Euro für die Radwegebau (inkl. Fremdmitteln) eingeplant.

Mit dem Ausbau der vorhandenen Radrouten macht die Stadt es sich einfach

Mit dem Ausbau der in den 90er Jahren entstandenen Radrouten in die Bezirke macht es sich die Stadt aber einfach. Man setzt auf bereits vorhandene Trassen, z.B. die Adenauerallee nach Werries, die Kleinbahntrasse nach Rhynern, Kornmersch nach Bockum-Hövel. Diese Trassen werden dann durchgehend auf einer Breite von drei Metern asphaltiert, sind aber keine reinen Radwege. Fußgänger und Radfahrende müssen sich den Platz teilen, Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern sind vorprogrammiert. Eine Umverteilung der Verkehrsfläche wird damit vermieden. Wie schwer die Umverteilung der öffentlichen Fläche zugunsten des Fahrrads wird, zeigt die Planung der Grünstraße, die als Fahrradstraße ausgebaut werden soll. Die wünschenswerte Breite von 4 m wird in der Planung nicht durchgängig eingehalten, da in einem Abschnitt zwischen Heinrich-Lübke- und Von-der-Marck-Straße kein Parkverbot ermöglicht wird. Der Parkraum für die Anwohner ist wichtiger als eine regelgerechte Breite für eine Fahrradstraße.

Fehlendes Konzept für den Ausbau der Radwege

Es fehlt bis heute ein bedarfsorientiertes Konzept für den Radwegeausbau. Es erschließt sich nicht, nach welchen Prioritäten der Ausbau des Radwegenetzes im Moment vorgenommen wird. Es fehlt eine systematische Erfassung des Radverkehrs in Form von Zählungen und eine daraus abgeleitete Bedarfsplanung. Die Anbindung der Stadtteile Bockum-Hövel, Heessen oder Rhynern sollte eine höhere Priorität als der Radweg nach Uentrop haben, da hier deutlich mehr Alltagsradverkehr stattfindet.

Umbau des straßenbegleitenden Radwegenetzes

Hamm verfügt zwar über ein umfangreiches Radwegenetz, allerdings entspricht dies an keiner Stelle den aktuellen Standards. Für straßenbegleitende Einrichtungsradwege ist in den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) eine Breite von 2 m, bei geringer Verkehrsdichte 1,6 m mit zusätzlich 50 cm Sicherheitsabstand zur Fahrbahn vorgesehen.

Im Moment gibt es keine Planungen, das Radwegenetz in Hamm entsprechend den Vorgaben der ERA 2010 systematisch umzubauen.

Eine entsprechende Gestaltung der Radwege ist in der Regel nur möglich, wenn die Fahrbahn schmaler gestaltet wird oder Parkstreifen beseitigt werden. Dies ist teuer und man geht dem zu erwartenden Widerstand der Autofahrenden aus dem Weg, die einen Parkplatz vor der Haustür erwarten.

Ein weiteres Hindernis bei der Erneuerung der Straße ist, dass die Anlieger an den Kosten beteiligt werden. Die Straßenausbaubeiträge sind zwar seit dem 1.1.2020 in NRW reduziert, aber nicht abgeschafft worden. In Hauptverkehrsstraßen gilt: für Fahrbahn und Radwege zahlen Anlieger 10 Prozent, die Kommune 60 Prozent. Bei Maßnahmen für den ruhenden Verkehr (Gehwege) zahlen Anlieger 40 Prozent und die Kommune 20 Prozent, der Rest wird durch Fördermittel des Landes abgedeckt.

Was sind die Voraussetzungen für mehr Radverkehr?

Damit mehr Verkehr vom Auto auf das Fahrrad verlagert werden kann, muss es einfach attraktiver sein, seine Wege mit dem Fahrrad zu erledigen als mit dem Auto. Dazu gehört ein Fahrradnetz, das sicher, durchgängig, attraktiv, direkt und komfortabel ist. Radwege sollten so gestaltet sein, dass sie auch für Kinder und alte Menschen nutzbar sind. Es darf keinen Mut benötigen, um mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs zu sein. Die Rad-Hauptrouten sollten weitestgehend eine bevorrechtigte Führung an Knotenpunkten haben, eine Priorisierung an Lichtsignalanlagen, Trennung zwischen Rad- und Fußverkehr haben und innerorts beleuchtet sein. Regelmäßige Reinigung, Heckenschnitt und Winterdienst gehören ebenfalls zu komfortablen Radwegen.

Kann eine Verkehrswende gelingen?

Eine Verkehrswende kann nur gelingen, wenn weniger Autos in den Städten unterwegs sind. Stand 1. Juni 2021 sind in Hamm 99.532 Fahrzeuge zugelassen, das entspricht 556 Fahrzeuge pro 1000 Einwohner.  “Damit sich Städte nachhaltig entwickeln, wieder deutlich lebenswerter werden, damit sie eben nicht »im Blech ersticken«, wären nach gängiger Expertenmeinung 150 Autos pro 1000 Einwohner gut.

Um dahin zu kommen, müsste man Parkplätze abschaffen, Radwege anlegen, die Räume fürs Auto klein und jene für Fußgänger groß machen. (Man müsste den Autofahrern zumindest vorübergehend das Leben vermiesen) Das trauen sich viele Rathäuser noch nicht. Sie lassen das Auto weiter regieren, während sie zu Konferenzen über die Mobilität von morgen einladen, die schon gestern hätte beginnen müssen.” schreibt der Spiegel in seiner Ausgabe vom 23.10.2021

Masterplan Mobilität

Im Juni 2021 hat der Rat der Stadt Hamm die Erarbeitung eines Masterplans Mobilität in Auftrag gegeben, um eine Mobilitätswende in Hamm zu gestalten. Die Stadt könnte aber auch ohne Masterplan schon jetzt mit Maßnahmen für eine Verkehrswende beginnen. Warum kostenloses Parken für eine halbe Stunde und Parkgebühren, die weniger kosten als ein Busticket in die Innenstadt. Und Bewohnerparken kostet in Hamm 27 € pro Jahr bzw. 50 € für zwei Jahre. Auch diese Kosten decken wohl kaum die Unterhaltung für die Straße und sind viel zu preiswert. Warum nicht höhere Parkgebühren und dafür reduzierte Ticketpreise für Busse?

Eine weitere Möglichkeit ist die Reduzierung der Geschwindigkeit in der gesamten Stadt auf Tempo 30. Eine Reihe von Kommunen, auch Münster und Aachen, haben eine Erklärung unterzeichnet, in der es u.a. heißt: “Wir sehen Tempo 30 für den Kraftfahrzeugverkehr auch auf Hauptverkehrsstraßen als integrierten Bestandteil eines nachhaltigen gesamtstädtischen Mobilitätskonzepts und einer Strategie zur Aufwertung der öffentlichen Räume.” Auch Hamm könnte sich dieser Initiative anschließen. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung die rechtlichen Voraussetzungen schafft, dass die Kommunen weitergehende Entscheidungen zur Einführung von Tempolimits in Zukunft selber treffen können.

Bis heute ist Verkehrsplanung im Wesentlichen auf die Optimierung des fließenden KFZ-Verkehrs ausgerichtet. Alles andere wird diesem untergeordnet und dies entspricht auch dem Geist der aktuellen Straßenverkehrsordnung.

Solange das Auto fast götterhaft verehrt wird und jede Einschränkung des PKWs als unzumutbar betrachtet wird, kann eine Verkehrswende nur schwer gelingen. Es wird für die Zukunft nicht ausreichen nur die Antriebsart klimaneutral zu machen, wir brauchen weniger Autos, damit Flächen in den Städten frei werden und sich das Stadtklima verbessert und Städte nicht zu Blechwüsten verkommen. Wir brauchen besseren und preiswerten Nahverkehr, mehr Carsharing, klimafreundlichen Rad- und Fußverkehr.

Und wir müssen auch angesichts der drohenden Klimakatastrophe jetzt damit anfangen und nicht zwei Jahre auf die Ergebnisse eines Masterplans Mobilität warten.

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