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Ausweitung der Kampfzone

Fünf Jahre nach dem Pariser Klimagipfel steht die Menschheit angesichts der voranschreitenden Klimakrise vor den Trümmern einer gescheiterten Klimapolitik. Gleichzeitig regt sich eine neue Widerstandsbewegung, die aufzeigt: Die Gesellschaft steuert auf einen neuen Großkonflikt zu.

Eine Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann.
Antonio Gramsci, Philosoph (Italien, 1891 – 1937)

Noch steht nicht fest, ob das Jahr 2020 einen neuen Temperaturrekord aufstellen wird. Fest steht bereits heute, dass trotz Corona-Krise die Treibhausgaskonzentration einen neuen Höchststand erreicht hat. Damit ist auch klar:

Die Weltgemeinschaft hat beim Klimaschutz versagt.

Dies bedeutet konkret in Deutschland, dass der Wald, wie wir ihn kennen, uns unter den Händen wegstirbt. Hauptursache: Klimastress, der den Bäumen die Fähigkeit nimmt, dem Borkenkäfer Stand zu halten.

Noch im Frühjahr wies der ThinkTank Carbon Tracker darauf hin, dass zahlreiche Länder eine Investition in Kohlekraftwerke in Betracht ziehen würden, um die Wirtschaft zu stimulieren. In der aktuellen Veröffentlichung zur weltweiten Nutzung von Kohleverstromung kommt das Forscherteam zu dem Ergebnis, dass 42% der globalen Kohlekraftwerke in 2018 nicht profitabel waren (Prognose 2040: 72%) .

Im Mai stellte das Portal CarbonBrief folgende Statistik zusammen:

  • Seit 2000 hatte sich die Zahl der Kohlekraftwerke verdoppelt auf 2.045 GW.
  • Weitere 200 GW sind im Bau, 300 GW in Planung
  • 268 GW wurden in Europa und den USA abgeschaltet

Es ist also nicht damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahren ein massiver Abbau von Kohlekraftwerken stattfinden wird. Und gerade diese Jahre sind entscheidend.

Weit weg vom engagierten Kampf gegen die Klimakrise sind auch die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Laut Bundesverkehrswegeplan soll bis 2030 die Hälfte der Mittel von 270 Milliarden Euro in den Straßenbau und -erhalt fließen, 40 Prozent in die Bahn sowie zehn Prozent in Kanäle und Flüsse. Damit wird die Verweigerung, sich mit der Realität des Klimawandels auseinanderzusetzen, in Asphalt gegossen.

Während die fossilen Infrastrukturen einen verzweifelten Überlebenskampf ausfechten – auf Kosten unserer Zukunft als menschliche Zivilisation – hat sich in Deutschland eine neue Widerstandsbewegung ausgebreitet. Ob es um den Braunkohletagebau geht oder den Bau von Bundesstraßen bzw. Autobahnen: Der Widerstand gegen diese zerstörerischen Projekte hat es innerhalb weniger Monate bis in die Hauptnachrichtensendungen geschafft.

Dabei sind es nicht nur die bekannten Protagonisten, die sich als WaldbesetzerInnen und BaumkletterInnen mit dem Einsatz ihres Körper der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen entgegenstellen. Der Widerstandsbewegung ist es längst gelungen, in den Städten immer wieder die überkommene Fixierung auf den mobilisierten Individualverkehr anzuprangern.

Wo also beim Kampf gegen die Atomenergie sich der Konflikt an den Bauzäunen in verlassenen Hinterlandregionen konzentrierte, lassen sich heute dezentral Aktionen organisieren. Denn kaum eine Kommune in Deutschland ist in der Lage, ein zukunftsfähiges Moblitätskonzept vorzuzeigen. Und wenn XR das Verkehrsministerium in Berlin blockiert, ist den AktivistInnen die Solidarität von zahlreichen Aktionsgruppen im ganzen Land gewiss.

Diese Aktionen sind Ausdruck für den starken Willen der Gesellschaft, aus der fossilen Abwärtsspirale auszubrechen. Die Politik kann auf diesen Willen nicht mit konkreten Maßnahmen antworten. Erschwerend für Regierungen in Land und Bund kommt hinzu, dass die wissenschaftlichen Fakten auf der Seite der AktivistInnen stehen:

Das Ende fossiler Infrastrukturen ist unvermeidlich.

Offen ist noch die Frage, wie groß der Schaden sein wird, den die Politik bis zur Geburt neuer Strukturen anrichten kann:

„Keiner der Klimapläne, keines der Maßnahmepakete oder Parteiprogramme macht auch nur den Versuch, einen mit dem Pariser Klimaabkommen kompatiblen Pfad zur Emissionsreduktion zu verfolgen.”
Carla Reemtsma, FFF Deutschland

Die bevorstehende Bundestagswahl wird also eine Ausweitung der Kampfzone erleben. Die Klimaschutzbewegung sieht sich angesichts der eindeutigen Fakten und des immer geringeren Handlungsspielraums unter Druck, radikale Maßnahmen unmittelbar einzufordern, während die Politik in Machtverlustängsten erstarrt. Eine Kompromisslinie ist nicht in Sicht, da die Klimakrise mit geradezu naturgesetzlicher Gewalt ablaufen wird.

Wie ließe sich ein drohender gesellschaftlicher Großkonflikt abwenden? Hier liegt der Spielball im Feld der Politik. Nur dann, wenn die Fakten zur Kenntnis genommen werden und die Anstrengungen der gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen in parlamentarischen Beschlüssen sichtbar wird, ist die Grundlage für einen glaubwürdigen Kampf gegen die Klimakrise durch die Politik gelegt.

Solange aber noch über den Betrieb von Regionalflughäfen und die Einführung von Tempolimits gestritten wird, ist der besetzte Baum zwangsläufiges Mittel zum Erhalt der zivilisatorischen Grundlagen auf unserem Planeten.

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